Epidemien bestimmten die Geschichte

Es gibt einen wichtigen Aspekt der Weltgeschichte, der leider nicht sehr bekannt ist und den viel zu wenige kennen, und zwar sind das die Auswirkungen von Epidemien, also von Krankheitswellen bei Menschen oder Nutztieren, auf den Verlauf der Geschichte:

Der Schwarze Tod in Europa, der dann mittelbar zur nachfolgenden europäischen Bevölkerungsexplosion und in Folge davon zum Kolonialismus führte: denn das Verbot der Empfängnisverhütung durch die Kirche war eine Reaktion auf den Mangel an Arbeitskräften nach der Pest-Epidemie gegen Ende des Mittelalters. Nachdem lange die Ratten und Rattenflöhe als Überträger der Pest gesehen wurden, haben neue Studien nun bestätigt, dass die Kleidung der Erkrankten und die darin lebenden Menschen-Parasiten, also Läuse oder Flöhe, die Hauptüberträger waren. Die Pest führte auch zu Pogromen vor allem gegen Juden, zu einem Autoritätsverlust der Kirche und zur Bildung neuer Sekten. Längerfristig wurden Arbeitskräfte verknappt und von Leibeigenschaft befreit und Löhne stiegen an, was zur Mechanisierung bisher manueller Arbeiten führte, etwa zum Buchdruck. Egon Friedell argumentiert sogar für die Pest als kausalen Auslöser der Renaissance.

Ergänzung 2023:  In einem ca. 4900 Jahre alten Massengrab bei Frälsegården in Süd-Schweden hat man das bislang älteste Auftreten einer Lungenpest-Epidemie nachgewiesen, auch „Neolithischer Schwarzer Tod“ genannt. Es darf vermutet werden, dass dies den als Neolithic Decline betitelten Bevölkerungskollaps verursachte, welcher damals die Ausbreitung der Indogermanen in Europa überhaupt erst ermöglichte.

Die Pocken in Amerika: die Besiedlung Nordamerikas durch europäische Einwanderer war ja nur möglich, weil mehr als 90% der einheimischen Urbevölkerung durch eingeschleppte Krankheiten gestorben waren und das Land darum nun weitgehend menschenleer war. Eine neue Studie führt nun sogar die sogenannte „kleine Eiszeit“ auf diesen Zusammenbruch der Bevölkerung und den dadurch verursachten ökologischen Wandel zurück.

Die von den Azteken Cocoliztli genannte Seuche, die im 16. Jahrhundert rund 80% der mexikanischen Bevölkerung tötete – neueste Studien deuten hier auf aus Europa eingeschleppte Salmonellen.

Grafik-der-Seuchen

Die Malaria, die Schwarzafrika sprichwörtlich zum „Grab des weißen Mannes“ und für Europäer praktisch unbetretbar machte, bis dann ab 1850 die erste wirksame Malaria-Prophylaxe mit Chinin entwickelt und damit die Tür zur Kolonialisierung Afrikas geöffnet wurde. Chinin aus der Rinde des Chinarindenbaums war übrigens ein traditionelles Heilmittel der peruanischen Indios, das die Spanier zurück nach Europa gebracht hatten.

Die Entstehung einer Automobil- und Erdöl-Industrie als Konsequenz der Pferdegrippe von 1872: denn kaum einer wollte damals stinkende Automobile statt der eleganten Kutschen – man hat sie entwickelt, nachdem fast alle Pferde in den USA an Pferdegrippe erkrankt und dadurch nicht arbeitsfähig waren, mit fatalen Folgen wie zum Beispiel im Lager verderbenden Lebensmitteln und katastrophalen Stadtbränden in Folge von mangels Zugtieren lahmgelegtem Feuerwehrgerät.

Die Russische Grippe von 1889-1895, die in 4 Wellen etwa 1 Million Tote weltweit verursachte. Sie soll in Zentralasien erstmals aufgetreten sein und kam über die grade im Bau befindlichen transsibirischen Bahnlinien nach Europa, und zwar zuerst nach Petersburg, daher der Name. Es handelte sich um eine typische virale Influenza mit jeweils neuen Ausbreitungswellen in den folgenden Wintern, allerdings ist der Erreger – man hat leider keine Proben davon – nicht eindeutig identifiziert, vermutet wird ein Influenza A Subtyp H3N8 oder H2N2 aber seit  2005 auch ein Coronavirus OC43, welcher bis heute noch als saisonale Kinderkrankheit im Umlauf ist. Diese jahrelang immer wieder aufflammende Russische Grippe wird auch als Auslöser einer nachfolgenden Welle von diversen psychischen Erkrankungen vermutet – man sprach von „Post-Influenzaler Depression“ – und von kultureller Dekadenz und Zerfall der Gesellschaft in diesem letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, dem  sogenannten Fin de Siècle. Diese Ängste und Krisenerfahrungen sollen wiederum die ungehemmte Rüstungsspirale befeuert haben, die sich dann schliesslich im Weltkrieg entladen hat.

Der Untergang des Massai-Wirtschaftssystems in Afrika durch die Rinderpest, denn nur nach dem völligen Zusammenbruch der Nahrungsgrundlage der Massai konnten die Europäer sich im östlichen und südlichen Afrika so breit machen. Die ökologische Veränderung in Folge des Rindersterbens – Verbuschung des Weidelandes – führte darüberhinaus zur Ausbreitung der Tsetsefliegen und damit der Schlafkrankheit.

Die Spanische Grippe von 1918-1920, die von der Opferanzahl von mehreren 10 Millionen sogar mit der Pest zu vergleichen ist, die aber nicht zuletzt durch die Pressezensur während des Weltkriegs und überschattet durch die Kriegstoten nie angemessen ins öffentliche Bewusstsein eingedrungen ist. Der Erreger konnte aus exhumierten Opfern eindeutig bestimmt werden als eine besonders virulente Variante aus dem Influenza A Subtyp H1N1.

AIDS und seine noch nicht absehbaren gesellschaftlichen Folgen.

Nachtrag 2020: nun mit CoVID-19 rückt dieses Thema nun verdient aber unerwartet leider wieder in den Fokus.

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