Mythos Staufer

Um Mythen zu verstehen, darf man nicht auf die Zeit schauen, von der sie handlen, sondern auf die Zeit, in der sie wirken sollten. Bei Staufer-Mythos war das die Zeit der Reichsgründung ab 1871.

Warum also grade da ein Staufer-Mythos ? Man schaue nur die Liste der Kaiser des heiligen römischen Reiches an: Ein großer Teil und inbesondere das Ende dieser Liste sind Habsburger – die waren sehr ungeeignet als Vorläufer für das Deutsche Reich 1871, denn die waren ja die Vorläufer des österreichischen Kaisertums! Dann findet man Luxemburger in dieser Kaiserliste – auch unpassend, weil auch nicht im Deutschen Reich – und wieder Habsburger, und fremde Gegenkönige. Und dann eben die Staufer.

Die Staufer sind also die letzte Kaiserdynastie des heilige römischen Reiches, die aus dem Gebiet des 1871 neu gegründeten Deutschen Reiches stammte – sie waren darum der am besten geeignete Anknüpfungspunkt, um nun eine Herrschaft der Hohenzollern-Kaiser in Deutschland zu rechtfertigen.

Zusätzlich passte noch, dass die Staufer ebenso wie die Hohenzollern aus Schwaben kamen und den Namen „Friedrich“ bevorzugt führten, der auch eine mythische Bedeutung hat.

Also: nachdem 1871 die Preussen unter Herrschaft des Hauses Hohenzollern sich einige andere deutsche Staaten untertan gemacht hatten, brauchten sie Argumente für deren Bevölkerung, warum das nun OK sein sollte – und dazu haben sie die Staufer ausgegraben und propagandistisch überhöht, weil diese den Hohenzollern ähnelten und wie Vorläufer aussahen, anders als die späteren Kaiser des HRR.

Man muss sich klarmachen, dass der direkte Vorgänger von Wilhelm I. als „Kaiser“ Napoleon III. war, als „römischer Kaiser“ war es Napoleon I. und der Vorgänger als „deutsch(sprachiger) Kaiser“ war der Habsburger Franz II von Österreich-Ungarn.

Wilhelms Königsherrschaft in Preussen ging zurück auf den Hohenzollern Herzog Albrecht, der ein Lehnsmann der polnischen Jagiellonen-Könige gewesen war. Preussen hatte ja gar nicht zum Heiligen Römischen Reich gehört, sondern zu Polen.

Kaiser Wilhelm brauchte also sehr dringend irgendwelche Argumente, warum nun grade er ein „Deutscher“ Kaiser sein sollte und da waren alle Vergleiche mit den (glücklicherweise ausgestorbenen) Staufern hochwillkommen.

Faktisch war das „Deutsche Kaiserreich“ 1871 ein komplette Neugründung ohne irgendwelche Traditionen und Verwurzelung und zunächst ohne Mythos.

PS: ich hab hier bei der Betrachtung der Kaiserliste die beiden Wittelsbacher Ludwig und Ruprecht übergangen – aber die wären nur geeignet gewesen, zu begründen dass der bayrische König hätte Kaiser werden sollen …

Hinterlasse einen Kommentar