Mythos Lemuria ?

Ich hatte immer angenommen, dass Lemuria ein östliches Gegenstück zu Atlantis sei und ähnlich der durch Platon berichteten Legende von Atlantis auf eine jahrtausendealte Überlieferung zurückblicken könne und wohl nach dem antiken Festtag der Verstorbenen benannt wurde. Alles ganz falsch, wie ich heute zufällig gelernt habe:

Lemuria ist genau 1864 erfunden worden als Bezeichnung für eine neue naturwissenschaftliche These: Der britische Zoologe Philip Sclater hatte nämlich die Tierordnung der Lemuren studiert und gefunden, dass Lemuren heute nur in Madagaskar leben sowie eng verwandte Arten und Fossilien in Indien gefunden werden, aber aus den dazwischenliegenden Ländern in Afrika und Arabien weder lebende noch fossile lemurenartige Tiere bekannt sind. Damals gab es die Theorie der Plattentektonik noch nicht und horizontale Kontinentalverschiebungen erschienen völlig undenkbar, allerdings wusste man, dass Festland vertikal ins Meer versinken aber auch aus dem Meer wieder auftauchen kann. So war für Sclater die Hypothese plausibel, dass es früher eine Festlandverbindung im heutigen indischen Ozean zwischen Madagaskar und Indien gegeben haben könnte, und er nannte diese postulierte Landbrücke „Lemuria“ – eben das Land, über das sich Lemuren verbreitet haben könnten.

Diese zwar aus heutiger Sicht klar falsche, aber damals topmoderne wissenschaftliche These fiel sofort auf fruchtbaren Boden: wieso nur die Lemuren ?  Der preussische Arzt und Evolutionstheoretiker Ernst Haeckel vermutete nun 1870 in der stark erweiterten 2. Auflage seines weltweiten Bestsellers „Natürliche Schöpfungsgeschichte“, dass auch der Mensch sich sehr wahrscheinlich über diese Landbrücke verbreitet habe und sogar ursprünglich in diesem versunkenen Land Lemuria entstanden sei. Damals noch leicht kreationistisch verbrämt wird das „Paradies“ nun als ein Ort in Lemurien eingezeichnet:

haeckel.png

Die erste Auflage von 1868, noch ohne Karte, hatte den Ursprung der Menschheit recht vage im südlichen Asien oder vielleicht im östlichen Afrika oder auch in einem „jetzt unter den Spiegel des indischen Oceans versunkenen Kontinent“ (Seite 515) gesucht, ohne dabei den Namen Lemuria zu erwähnen, und aus der für die 8. Auflage von 1899 erstmals überarbeiteten Kartenskizze ist Lemurien auch schon wieder verschwunden und der gemeinsame Ursprung aller 12 Menschenarten wird nun am Hindukusch verortet.

Erst ab hier begann dann eine weitere Verbreitung dieser Idee von Lemuria, insbesondere durch Science- und Science-Fiction-Autoren, durch die Theosophen, aber auch durch deutsche und südindische Nationalisten, die alle diese Hypothese kräftig ausschmückten auch noch lange nachdem sie wissenschaftlich obsolet geworden war.

PS: Übrigens, die moderne Version dieser Karte von Haeckel spricht nicht mehr von Menschen-Arten, sondern politisch korrekter von „vorherrschenden Haplogruppen“ und sieht nun so aus:

mt-haplogruppen-wanderung

und gruppiert sich so (Nachtrag 2020)

Tree diagram showing human evolution.

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