Byzantinische Familienbanden

Byzantinische Geschichte ist ein sehr vernachlässigtes Thema, woraus ich ein Detail hier mal herausgreifen will:

Es handelt vom leider viel zu jung umgekommenen Kaiserenkel Prinz Khalil (auch „Chalil“ oder „Halil“, ca. 1346–1362):

Sein Vater war Orhan, der zweite Bey – später Sultan – des osmanischen Beylik, und sein Großvater war damit Osman, der rum-scheldschukische Emir und Dynastie-Begründer und Schwiegersohn des Scheich Edebalı, des Vorstehers des VefaiyyeOrdens und Nachfolgers des Sufis Baba Elias Khorasani.

Seine Mutter war Theodora, eine Tochter des byzantinischen Hausmeiers und Regenten, nach Bürgerkrieg und Pest dann selbst zum Mitkaiser ernannten Johannes VI. Kantakouzenos und seiner Kaiserin Irene Asanina. Prinzessin Theodora war ein Urenkelin über ihre Mutter und zugleich eine Ururenkelin über ihren Vater von Kaiser Michael VIII. Dukas Komnenos Palaiologos, der 1261 Konstantinopel von den Venezianern zurückerobert und damit die letzte griechische Kaiserdynastie begründet hatte. Theodora war gut 50 Jahre jünger als Sultan Orhan und bei der Geburt von Khalil selbst erst 14 oder 15.

Während der Kindheit von Khalil wütete in ganz Europa der Schwarze Tod, dem ab 1347 auch in Konstantinopel etwa die Hälfte der Einwohner erlagen. Orhans Familie folgte damals – laut Ibn Battūta – immer noch einer nomadische Lebensweise und blieb dank häufiger Ortwechsel von der Pest weitgehend verschont.

Als Junge von etwa 10 Jahren wurde Khalil 1356 oder 1357 in der Nähe des seit 1338 osmanischen Nikomedia an der Marmaraküste durch Piraten entführt und daraus entwickelte sich ein exemplarisches Schlüsselereignis in den osmanisch-byzantinischen Beziehungen:

Piraten pflegten Menschen für Lösegeld oder für den Sklavenmarkt zu fangen. Es ist nicht bekannt, ob sie hier die Identität ihrer Beute im Voraus kannten, aber als sie diese erfuhren, flüchteten sie nach Alt-Phokäa (griechisch Φώκαια, genuesisch Foggia, heute Eski Foça). Phokäa war eine byzantinische Hafenfestung am Eingang zum Golf von Smyrna/Izmir, die eigentlich zusammen mit den dortigen Alaunminen der Republik Genua zum Lehen gegeben war und nun aber seit 1348 vom „PanhypersebastosLeo Kalothetos befehligt wurde, einem alten Freund des 1354 abgedankten Johannes Kantakouzenos, Khalils Großvater, der mittlerweile als Mönch im Kloster lebte.

Wappen der Palaiologoi

Orhan bat nun den aktuellen byzantinischen Kaiser Johannes V. Palaiologos um Hilfe, Prinz Khalil zu befreien. Johannes V. hatte 1347 Helena, die Schwester von Theodora, geheiratet, war also nun Schwager von Orhan und Onkel von Khalil. Andronikos IV. Palaiologos, der Sohn von Johannes den dieser schon als 4-Jährigen zum Mitkaiser ernannt hatte, war also Vetter von Khalil. Orhan bot an, bestehende byzantinische Schulden zu erlassen und Ansprüche der konkurrierenden Kantakouzenos-Dynastie auf den byzantinischen Thron nicht weiter zu unterstützen.

Die Kaiser stimmten zu und versuchten Khalil zu befreien, aber Leo leistete Widerstand und so liess Johannes 1358 Phokäa belagern mit einer kleinen Flotte von nur drei Schiffen, deren Kosten von Orhan bezahlt wurden. Er forderte auch Elias (Fachr ad-Din İlyas), den Bey des benachbarten Beylik Saruchan, in dessen nahegelegenen Häfen eine schlagkräftige Flotte beheimatet war, zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen Phokäa auf. Elias spielte aber ein doppeltes Spiel und plante, den Kaiser während einer Jagdgesellschaft zu entführen, doch dieser konnte dem zuvorkommen und Elias festnehmen lassen. Ohne die eingeplante Unterstützung aus Saruchan gab Johannes die Belagerung von Phokäa nun auf. (Manche Berichte schreiben diese Aktionen dem hier erst 10-jährigen Mitkaiser Andronikos zu, was ich aber nicht glauben kann.)

Nach dem Scheitern dieser Operationen 1358 kam Orhan zu Verhandlungen nach Skutari gegenüber Byzanz am Ost-Ufer des Bosporus und stimmte schliesslich zu, 100’000 Hyperpyra (etwa 30’000 venetianische Dukaten bzw. etwas über 100 kg Gold) als Lösegeld an Leo zu zahlen. 1359 wurde Khalil schließlich freigelassen.

Als Teil der Vereinbarung wurde nun der ca. 13 Jahre alte Khalil verlobt mit seiner 10-jährigen Cousine, Irene Palaiologina, Tochter von Kaiser Johannes V. und jüngere Schwester des Mitkaisers Andronikos. Der osmanische Prinz und die byzantinische Prinzessin heirateten dann auch sehr bald und bekamen zwei Söhne, die Prinzen Gündüz (*1361) und Ömer (*1362).

Da der designierte osmanische Thronfolger, Khalils ältester Halb-Bruder Prinz Süleyman in 1357 tödlich verunglückt war, hoffte Kaiser Johannes, nun seinen Neffen und Schwiegersohn Khalil als den nächsten Herrscher des osmanischen Beylik zu sehen, aber zu seiner Bestürzung wurde dann nach Orhans Tod 1362 Khalils etwa 20 Jahre älterer Halb-Bruder Murad als neuer Sultan inthronisiert.

Weil der noch jugendliche Khalil nun versuchte, um den Thron zu kämpfen, wurde er 1362 auf Befehl seines Bruders Murad hingerichtet. Zum weiteren Schicksal von Irene und ihren Söhnen ist uns leider nichts überliefert – es ist anzunehmen, dass sie zu Irenes Vater heimkehrten so, wie das auch in vergleichbaren Fällen geschehen ist.

Maria, eine jüngere Schwester von Irene und Kaiser Andronikos, wurde nun mit Murad I. verlobt, aber starb 1376 noch bevor die Ehe geschlossen werden konnte.

Khalils Mutter Theodora taucht später wieder in Byzanz auf als eine der Geiseln des Andronikos während der Belagerung in der Galata-Festung bis Mai 1381, nachdem Johannes V. mit Murads Hilfe und venetianischer Unterstützung 1379 den Kaiserthron von seinem Sohn Andronikos zurückerkämpft hatte.

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