Neues aus der Altsteinzeit

Naja, jedenfalls mir waren einige dieser Forschungsergebnisse neu:

Seile und damit Segelboote

Eine neue experimentelle Analyse von paläolithischen Steinwerkzeugen aus den Tabon-Höhlen auf der phillipinischen Insel Palawan hat belegt, dass diese Steine zur Faser-Gewinnung aus Bambus und anderen Pflanzen verwendet worden sind. Dies impliziert die Verfügbarkeit von Seilen, und damit dann wahrscheinlich auch Segelbooten, und wird datiert auf vor 40’000 Jahren. Hierbei kann nicht als gegeben angenommen werden, dass diese Seilmacher „homo sapiens“ angehörten – Denisova-Menschen wären hier eine plausible Möglichkeit. Der bislang älteste Fund eines prähistorischen Seiles ist von sogar vor 50’000 Jahren und wird Neandertalern zugeschrieben.

Hütten ?

An den Kalambo Fällen in Sambia wurden im Kies des Flusses Reste von zwei Stämmen gefunden, die eine grob rechtwinklige Verbindung aufweisen und die zu diesem Zweck mit Steinäxten eingekerbt worden sind. Diese sehr frühe Zimmermannsarbeit wird datiert auf ein Alter von 450’000-500’000 Jahren, also weit älter als die frühesten Homo sapiens Funde.

Waffen aus Holz

Seit 1994 wurden in einem Braunkohletagebau in Niedersachsen nahe bei Schöningen rund 20 Speere und andere zugespitzte Wurfhölzer ausgegraben. Nun wurde eine umfangreiche Auswertung dieser insgesamt 187 in einem eigenen Museum präsentierten Fichten- und Kiefernhölzer veröffentlicht, die eine deutlich umfangreichere und vielfältigere Bearbeitung nachweist als erwartet, denn diese Funde werden 300’000 Jahre alt datiert und deswegen Neandertalern zugeschrieben.

Schuhe ?

In Südafrika wurde nun Fussabdrücke gefunden, die rund 100’000 Jahre alt sein sollen und zeigen, dass hier Schuhe getragen wurden, bzw. Sandalen. Bisher kannte man erst maximal 10’000 Jahre alte Sandalen.

Kleidung

Die Läuse, die im Pelz der Säugetiere leben, haben sich im Fall der Menschen in 2 verschiedene Populationen separiert, die Kopfläuse und die Kleiderläuse, und diese Trennung markiert den Beginn der Nutzung von Kleidung. Diese Studie hat mittels Analyse der genetischen Unterschiede der heutigen Läuse (Pediculus humanus) herausgefunden, dass es die separaten Kleiderläuse mindestens seit 83’000 Jahren gibt, und höchstens seit 170’000.

Schmuck und Kunst

Ebenfalls in Südafrika fand man Belege für das Tragen von dekorativen Muschelschalen als Schmuck vor mehr als 70’000 Jahren.

Als früheste Beispiele für Kunst galten bisher die Wandmalereien in den Höhlen von Lascaux und Chauvet. Mittlerweile gelten die Malereien der El-Castillo-Höhle und der Höhlen im Maros-Pangkep Karst auf Sulawesi als noch etwas älter, nämlich ca. 40’000-45’500 Jahre alt.

Erheblich älter – 70’000-100’000 Jahre – wurden 2002 Ocker-Farben aus der Blombos-Höhle bei Kapstadt datiert, und die Verwendung solcher Ockerfarben wird allgemein in Afrika auf bis zu 500’000 Jahre zurück angesetzt, also deutlich von den ersten Homo Sapiens, so dass man hier an Denisovans oder Homo Erectus denken muss.

Prä-neolithisches Brot

Vor rund 5 Jahren haben Forschende von der Universität Kopenhagen eine 14’400 Jahre alte Feuerstelle in der jordanischen Wüste ausgegraben, und in deren Asche konnten einige Reste von Brot identifiziert werden, das aus Körnern von wilden Varianten von Gerste, Hafer und Einkorn zubereitet war. Dies sind bislang die frühesten Funde von Brot. Es gibt allerdings auch eine noch ziemlich umstrittene These, wonach in Israel am See Genezareth bereits vor 23’000 Jahren wildes Getreide mit Feuerstein-Sicheln geerntet worden ist. Und auch im prä-neolithischen Göbekli Tepe wurden nun Mahlsteine gefunden.

Amerikaner*innen

Eine neuere Analyse hat für menschliche Spuren bei Santa Elina in Brasilien, nahe der Mitte von Südamerika, mit unterschiedlichen Methoden ein Alter von 27’000 Jahren bestätigt. Insbesondere wurden dort Körperteile des dann gegen Ende der Eiszeit ausgestorbenen Riesenfaultiers bearbeitet.

In der Chiquihuite Höhle in den Astillero Bergen in Mexico hat man menschliche Werkzeuge gefunden und auf 31-33’000 Jahre alt datiert. Umstritten ist noch die Deutung eines Fundes von ca. 37’000 Jahre alten Mammutknochen in Mexiko als von Menschen bearbeitet.

Noch wesentlich radikaler und auch strittiger sind die neueren Resultate von der Cerutti Mastodon Fundstelle in Südkalifornien: hier hat man 1992 die Überreste eines Mastodons gefunden zusammen mit Hammersteinen, die zu seiner frischen Zerlegung verwendet wurden. Den Knochen wird nun seit 2017 ein Alter von rund 130’000 Jahren zugemessen, so dass hier eher an amerikanische Neandertaler oder Sasquatch als an Homo sapiens zu denken ist.

In diesem Kontext stolpert man nun aber über das hier bestehende Postulat, wonach die „ersten Amerikaner“ zwingend genetische Vorfahren der heutigen Indianer sein müssen: falls man frühe Menschen in Amerika nachweist, die genetisch nicht Vorläufer der Indianer waren, dann zählen diese nicht als Amerikaner, sondern nur als versprengte paläolithische Europäer etwa aus der Solutréen-Kultur.

Dieses Postulat ist allerdings erst 2015 am anderen Ende erschüttert worden, als Gen-Analysen belegt haben dass Xavante-, Surui- und Karitiana-Stämme im Amazonas-Gebiet mit australischen Aborigines und Inselbewohnern von Neuguinea und den Andamanen verwandt sind, aber eben nicht mit nordamerikanischen Indianern. Damit erscheint nun eine Erstbesiedlung Amerikas durch Überquerung des Südpazifik wahrscheinlich, wohl sehr früh und unabhängig vom Vergletscherungs-Status bei Alaska.

Auf dem Dach der Welt

Bisher hatte man das Tibetische Hochplateau mit rund 4000 m Meereshöhe und dadurch um 40% weniger Sauerstoff in der Luft für einen relativ spät von Menschen erschlossenen Lebensraum gehalten, und bisherige Funde belegten Menschen dort erst seit 5’000-10’000 Jahren. 2019 lieferte aber eine neue Analyse eines älteren Knochenfundes nun ein Alter von mindestens 160’000 Jahren und eine Herkunft von einem Denisova-Menschen. 2021 datierte man dann menschliche Abdrücke dort auf 169’000-226’000 Jahre alt, so dass damit nun das tibetischen Plateau als seit rund 200’000 Jahren besiedelt gilt.

„Mittelerde“

Es zeigt sich, dass die verbreitete Erwartungshaltung falsch war, wonach die Evolution des Menschen wie zielgerichtet zu immer grösseren Gehirnvolumen führen müsse und etwaige Hominiden mit kleinerem Gehirn also sehr alt und ganz am Anfangs dieser Entwicklung einzuordnen seien. Es wurden mittlerweile mehrere Menschenarten gefunden, die trotz eher kleinem (oder auch grösserem) Hirnvolumen gleichzeitig (wenn auch nicht zusammen) mit Homo sapiens lebten, so dass es in der Altsteinzeit nun fast zugeht wie in Tolkiens Mittelerde-Romanwelt, mit Zwergen und Riesen: mit Homo naledi (ca. 610 cm³), Homo floresiensis (ca. 460 cm³) und Homo luzonensis kennen wir nun bereits 3 kleinwüchsige altsteinzeitliche Menschenarten mit Hirnvolumen kleiner als der Hälfte des Homo sapiens (ca. 1400 cm³), und diese beschränken sich nicht auf Afrika, hatten sogar die Wallace-Linie schon überquert. Mit dem Neandertaler und dem Denisova-Menschen kennen wir andererseits auch schon 2 große Arten mit auch grösseren Gehirnen, und auch hier sind weitere DNS-basierte Identifizierungen bald zu erwarten.

Jagende und Sammelnde (aka Wildbeuter)

Es war wohl nur ein chauvinistisches Vorurteil, traditionell zu unterstellen, dass in den steinzeitlichen Jäger und Sammler Gesellschaften die Männer stets Jäger waren und die Frauen stets das Sammeln übernahmen. Ein Team von Forscherinnen hat diesen Mythos nun klar widerlegt: eine Re-Evaluierung von wegen der Beigabe von Jagdwaffen bislang als „männlich“ klassifizierten steinzeitlichen Gräbern ergab, dass in 11 von 27 solchen Gräbern tatsächlich Frauen beigesetzt waren. Dies führt zu der Abschätzung, dass damals zu etwa gleichen Anteilen Männer und Frauen die Jagd betrieben. Dies wird auch bestätigt dadurch, dass in 80% der untersuchten neuzeitlichen Wildbeuter-Gesellschaften auch Frauen jagen, sogar Säuglinge tragende Mütter, und zwar keineswegs nur kleines Wild.

Doch auch die gegenteilige Ansicht wird immer noch propagiert: so gibt dieser Artikel in Spektrum zwar zu, dass leider „sich die Frage, ob auch in der Jüngeren Altsteinzeit die Arbeitsteilung nach Geschlechtern organisiert wurde, archäologisch nur sehr schwer fassen“ lasse, propagiert dann aber explizit „Sammeln liefert den Löwenanteil der täglichen Kalorien – auch in der Nahrungsbeschaffung liegt also eine Quelle weiblicher Macht“ – ganz als ob altsteinzeitliche Männer nicht ebenfalls Nahrung gesammelt hätten.

Sklaverei

Spezialisierte Wildbeuter-Gesellschaften (Complex Hunter-Gatherer, CHG) weisen Merkmale auf, die bislang üblicherweise erst den Viehzüchtern und Ackerbauern des Neolithikums zugeschrieben wurden: man findet schon sesshafte Lebensweise (insbesondere dort wo die „Jagd“ primär aus Fischfang besteht) auch in grösseren Siedlungen mit Vorratshaltung und Großgeräten (Booten, Dörren, Netzen etc. ), und auch vielschichtige hierarchische Sozialstrukturen und insbesondere auch schon Sklaverei. Dies widerspricht der bisherigen Erwartung, dass Sklaverei sich erst aus und nach der Viehzucht und folglich frühestens erst im Neolithikum entwickelt haben könnte.

Ein neues Beispiel dafür ist die befestigte Siedlung Amnya am gleichnamigen sibirischen Fluss, die als nördlichste steinzeitliche Wallanlage Eurasiens gilt. Auch diese 8000 Jahre alt datierte Siedlung widerlegt nach einer neuen Studie diese alte Vorstellung, dass Ackerbau oder Viehzucht eine Voraussetzung für diversifizierte Gesellschaftsstrukturen wäre.

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